Innereien - Rezept-Nr. 871

zurück  weiter

Vorheriges Rezept (870)

Nächstes Rezept (872)


Kutteln, Info 2

( 1 Text )

Kategorien

Info
Innereien
Kutteln

 

Zutaten

 

 

Kutteln

Zubereitung

Johann Sigismund Elsholtz befindet zu diesem "Bestandteil des Bauches von Schlachttieren": "Der Magen und die Kaldaunen haben eine harte und kalte Substanz / welche zu verdawen ein starcker Magen erfordert wird: ja wan sie schon verdawet / geben sie doch wenig/ und nicht gut Geblüt. Desswegen sie mit Gewürz im zurichten verbessert werden müssen." Alfred Walterspiel, der große deutsche Koch des 20. Jahrhunderts, ist weniger zimperlich, wenn er schreibt: "In vielen Ländern, besonders in den deutschsprachigen, hat man gegen die Tripes, vielleicht weil man sie Kutteln oder Kaldaunen nennt, ein Vorurteil. Dieses Vorurteil ist völlig unberechtigt. Natürlich muss man die Tripes mit der größten Sorgfalt behandeln, reinigen und in fließendes Wasser legen [das nimmt einem heutzutage der Metzger ab]. In Frankreich und in der Schweiz ist diese sorgfältige Behandlung eine selbstverständliche Voraussetzung. Für Frankreich ist der Tripier charakteristisch, in dessen Geschäft wir nur die Innereien der Tiere finden. Seine Spezialität und sein ganzer Stolz ist die unübertreffliche, saubere Herstellung der Tripes. Die Meinungen zum Magen der Wiederkäuer scheinen in zwei entgegengesetzte Richtungen zu tendieren. Aber damit nicht genug, werden in manchen Regionen sogar Gerichte aus Kutteln von Tieren angeboten, die einen solchen Wiederkäuermagen gar nicht besitzen, Schweinekutteln zum Beispiel, worunter alle möglichen Innereien zu verstehen sind, und - wie ich der Speisenliste eines Banketts entnehme, das 1571 in Paris zu Ehren Elisabeths von Österreich gegeben wurde - Kabeljaukutteln; die Fischer des Languedoc bereiten heute noch eine dortige Spezialität zu, deren Hauptzutat Thunfischkutteln sind (aber fragen Sie mich bitte nicht, welche Körperteile des Fischs das sein sollen - ich weiß es nämlich nicht).

Wird die Definition des Pansens schon so sträflich locker gehandhabt, wie sieht es dann mit der Geschichte dieses Nahrungsmittels aus? Lassen wir die Beispiele für sich sprechen.

Sowohl der Nouveau Larousse Gastronomique als auch der Guide Gourmand de la France aus der Feder Henri Gaults und Christian Millaus finden nichts dabei, uns diesbezüglich mit dem Text eines Autors namens Phileas Gilbert aufzuwarten. Literarische Gründe kann das nicht haben; Gilberts Stil ist schwerfällig und bemüht und lässt das Bestreben transpirieren, Bildung zur Schau zu stellen, was immer gefährlich ist. Folglich dürfen wir annehmen, dass sein Text als wichtige Informationsquelle zitiert wird, auf die der Historiker ungern verzichten würde. Und was erfahren wir aus diesem Text? Dass Wilhelm der Eroberer "sich an primitiven [sic] Kutteln delektierte, zu denen er Saft aus neustrischen [!] Äpfeln trank; die Geschichtsschreibung, welche gänzlich zu Unrecht solcherlei kleinen Einzelheiten keinerlei Beachtung schenkt, vergisst zu erwähnen, dass ein Streit um "gaudebillaux" [so nannte Rabelais die Kutteln] am Anfang des Zerwürfnisses war, das zwischen Wilhelm und dem französischen König Philippe I. eintrat - ein Streit, welcher letzteren zu einem Scherz veranlasste [nicht näher erläutert], auf welchen ersterer mit dem ebenso berühmten [?] wie bedrohlichen Wort antwortete, er werde "seinen Kirchgang [?] nach Notre Dame in Paris tun und zehntausend Hellebarden als Kerzen mitbringen". Und so geschah es, dass im 10. Jahrhundert ein gastronomischer Streit die Ursache für den Normanneneinfall war.

Sieht man von kleinlichen Einwendungen ab wie der, dass Wilhelm der Eroberer eigentlich in England einfiel und nicht südlich der Normandie, fragt man sich dennoch, wie es möglich ist, dass zwei nicht übel beleumundete Nachschlagewerke solche gewichtigen Behauptungen publizieren (von der Kühnheit des Verfassers, sie aufzustellen, ganz zu schweigen!), ohne einen einzigen Gedanken auf den Umstand zu verschwenden, dass Wilhelm der Eroberer im Jahre 1087 das Zeitliche segnete, mit der Erbauung Notre Dames jedoch nicht vor 1163 begonnen wurde.

Nun, gut. Sehen wir uns die etwas neuere Geschichte an. Da erfahren wir beispielsweise, dass die Einwohner Portos von allen übrigen Portugiesen "Kuttelessere" genannt werden, weil Heinrich der Seefahrer, wie er später hieß, in jüngeren Jahren alles Rindvieh schlachten ließ, um 1415 seine Flotte mit Proviant zu versehen, damit sie sieh an der Kreuzzügen beteiligen konnte. Für die Bewohner Portos blieben nur die Eingeweide der geschlachteten Tiere übrig, und deshalb entwickelten sie eine Leidenschaft für diese Körperteile (das Gegenteil hätte man eher erwartet). Übrigens segelte Heinrich mit seiner solcherart verproviantierten Flotte nicht etwa, wie man aufgrund des Berichts meinen könnte, nach Palästina, sondern nur nach Ceuta in Marokko, sozusagen gleich um die Ecke, was die ganze Geschichte nicht unbedingt glaubwürdiger macht.

Wem auch das nicht gefällt, dem kann ich noch eine Geschichte über die französische Stadt Olargüs anbieten, wo man sich mit einem Kuttelgericht brüstet, das der Teufel persönlich im 12. Jahrhundert kreiert haben soll. Er bot den Einheimischen an, über Nacht eine Brücke für sie zu bauen, wenn ihm dafür das erste Lebewesen zugesprochen würde, das sie betraf. Die gerissenen Städter trieben daraufhin eine Ziege auf die Brücke, die der Teufel in seiner Wut in tausend Stücke zerriss, und ihre Eingeweide schleuderte er den Bewohnern der Stadt ins Gesicht. Leute mit Kutteln zu bombardieren, scheint mir zwar nicht der unmittelbarste Weg zur Erfindung eines neuen Gerichts zu sein, aber zwei andere Fragen, die diese Geschichte aufwirft, erscheinen mir interessanter. Erstens: Warum wird der Teufel so häufig als Brückenbauer geschildert? Zweitens: Warum ist er immer so leicht zu übertölpeln?

Eine dritte Frage, die sich aus allen drei Beispielen erhebt, ist die, warum gastronomische Schriftsteller beim Thema der Kutteln besonders häufig der Versuchung erliegen, in hochtrabendem Tonfall ausgemachten Unsinn daherzufaseln. Liegt es vielleicht daran, dass unsere arbitri elegantiarum meinen, sie müssten durch Vornehmheit des Stils von der Schäbigkeit des Themas ablenken? Ich fürchte, dass es in der Tat daran liegt. Nicht dass Kutteln ein schäbiges Nahrungsmittel wären; billige, schlichte Nahrungsmittel sind niemals schäbig, sie sind bloß nicht luxuriös; in den Augen jener, die den Wert aller Dinge nur nach ihrem Preis ermessen können, mögen sie folglich schäbig erscheinen, was kein gutes Licht auf besagte "Gastrosophen" wirft.

Was den Eigengeschmack der Kutteln betrifft, schließen wir uns Magister Elsholtz an; Kutteln haben wenig geschmackliche Individualität und dienen meiner Meinung nach als Grundlage oder Hintergrund für den Geschmack von Zutaten, die man nicht pur essen kann. Wenn Samuel Pepys die Kutteln mit Senf lobt, die er gegessen hat, drückt er damit, ohne es zu wissen, genau aus, was ich meine.

In Italien, Spanien und Südfrankreich werden Kutteln mit viel Knoblauch und Tomaten geschmort, in Lyon werden sie mit Zwiebeln zubereitet (wie in England auch), und in der Normandie werden sie mit Möhren und Zwiebeln in Cidre gekocht. In Louisiana gibt es zwei Sorten von Kuttelwürsten, "chaudin" und "andouille", die von den Franzosen eingeführt wurden, denn die USA sind kein Land von Kuttelliebhabern.

Quelle

Text von Waverley Root

aus 'Das Mundbuch'


Vorheriges Rezept (870)

Nächstes Rezept (872)